Als die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten vor knapp einem Monat den November-Lockdown beschlossen, war die Botschaft an die Bevölkerung klar formuliert: Wir müssen uns jetzt alle ein bisschen einschränken und Kontakte reduzieren, damit das Weihnachtsfest im Kreise der Familie gerettet werden kann. Inzwischen ist klar: Die November-Maßnahmen haben nicht gereicht, der Lockdown wird mindestens bis zum 20. Dezember verlängert und sogar verschärft.
Nur noch fünf Personen aus zwei Hausständen sollen sich jetzt noch treffen dürfen, so sah es eine Beschlussvorlage vor, über die die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am Montagabend beraten haben. Die Ergebnisse der viereinhalbstündigen Videokonferenz sollen an diesem Dienstag noch einmal zwischen Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und den Chefs der Staatskanzleien abgestimmt und dann am Mittwoch in einer erneuten Gesprächsrunde der 16 Regierungschefs mit der Bundeskanzlerin endgültig beschlossen werden. Dabei wird es auch noch einmal um die genaue Regelung für die Weihnachtstage gehen.
Zwar sollen die Weihnachtstage mit Blick auf die Regelungen zu Kontaktbeschränkungen „gesondert betrachtet“ werden, wie es in der Vorlage heißt. Vom 21. bis zum 27. Dezember, möglicherweise auch bis zum 3. Januar, sollen auch Treffen eines Haushaltes mit Familienmitgliedern oder haushaltsfremden Personen aus mehreren anderen Haushalten möglich sein.
Doch auch hier sollen strenge Obergrenzen gelten: Auf fünf oder maximal zehn Personen sollen die Treffen unterm Tannenbaum begrenzt werden. Kinder bis 14 Jahre sind hiervon ausgenommen.
„Mit dieser Regelung soll Weihnachten auch in diesem besonderen Jahr als Fest im Kreise von Familie und Freunden, wenn auch im kleineren Rahmen, möglich sein“, hieß es vor der Videokonferenz der Ministerpräsidenten in einem Entwurf, den die Berliner Senatskanzlei erarbeitet hatte. Zudem wird angeraten, sich vor und nach den Feiertagen in eine „möglichst mehrtägige häusliche Selbstquarantäne zu begeben“.
„Für große Familien zu klein gedacht“
In der Opposition werden diese Vorschläge als völlig weltfremd bewertet. „So starre Regelungen sind fernab jeder Lebensrealität vieler Familien und verspielen langfristig das Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie“, sagte die stellvertretende FDP-Fraktionschefin Katja Suding, WELT.
Ganz besonders Patchwork-Familien stelle eine so unflexible Regelung vor die kaum zumutbare Entscheidung, wer mit unterm Weihnachtsbaum sitzen dürfe und wer nicht. „Wir sollten den Familien zutrauen, selbstständig verantwortungsbewusst darüber zu entscheiden, mit wie vielen Familienmitgliedern sie Weihnachten feiern wollen.“
Hans-Ulrich Rülke, der Fraktionschef der FDP in Baden-Württemberg sagte, ein Verbot wäre „kaum kontrollier- oder durchsetzbar“ und ginge schlicht zu weit: „Wir dürfen den Familienfrieden an den Feiertagen nicht durch staatlich sanktionierte Eingriffe gefährden.“
Kritik kommt auch von der Linkspartei. Auf große Familienfeste solle zwar möglichst verzichtet werden, sagte Katrin Werner, familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. „Doch eine starre Begrenzung der Personenzahl oder Haushalte für das Weihnachtsfest ist nicht sinnvoll“, sagte Werner WELT.
Die AfD lehnt jegliche Eingriffe in das Familien- und Privatleben ab und damit auch jede Kontaktbeschränkung innerhalb der Familie, wie ihr familienpolitischer Sprecher Martin Reichardt sagte: „Die geforderten Kontaktbeschränkungen der Ministerpräsidenten für private Treffen sind familienfeindlich und realitätsfern.“
Probleme bereiten die Weihnachtsregeln vor allem kinderreichen Familien. Kinder bis 14 Jahren zählen zwar laut Beschlussvorlage bei den Personenobergrenzen nicht mit – ältere aber sehr wohl.
Für die bundesweit 1,4 Millionen Familien mit drei und mehr Kindern werfe der Beschluss deshalb „große Fragen für die Umsetzung auf“, kritisierte Elisabeth Müller, die Vorsitzende des Verbandes kinderreicher Familien. „Diese Regel ist schon für Kleinfamilien kaum praktikabel, für Mehrkindfamilien ist sie praktisch nicht umsetzbar. Eine Kontaktbegrenzung, die sich allein an der Personenanzahl orientiert, ist für große Familien zu klein gedacht.“
So verteidigen die Länder den Weihnachtsplan
Die Regierungschefs und Minister der Länder verteidigten die geplanten Weihnachts-Regelungen hingegen. „Große Feste mit 30 Personen sehe ich nicht und hielte ich auch nicht für verantwortbar“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Weihnachtsfeiern im kleinen Kreis bis zehn Personen seien hingegen auch unter Corona-Bedingungen möglich. „Wir wollen definitiv ein Regelwerk zu Weihnachten haben, das Begegnungen ermöglicht, auf die sich viele freuen – im engen Kreis der Familie oder auch mit Freunden.“
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) plädierte dafür, zu Weihnachten zumindest zehn Personen zusammenkommen zu lassen.
„Das Weihnachtsfest im Kreis von Familie und Freunden ist für viele Bürgerinnen und Bürger von besonderer Bedeutung – in diesem herausfordernden Jahr umso mehr“, sagte NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP). Beschränkungen zur Reduzierung der Corona-Pandemie dürften daher nicht zu sozialer Ausgrenzung führen – gerade für Alleinstehende, sagte er WELT. „Wichtig ist, dass niemand aufgrund der Corona-Regelungen Weihnachten allein bleiben muss.“
Die bayerische Familien- und Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) kündigte eine große Advents- und Weihnachtsaktion unter der Überschrift „Unser soziales Bayern – wir helfen zusammen“ an, um vor allem Seniorinnen und Senioren und Familien zu unterstützen, zum Beispiel auch seelsorgerisch. „Mir ist es ein Herzensanliegen, dass sich niemand in der Advents- und Weihnachtszeit alleine fühlt.“
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte, die die geplanten Regelungen gingen „im Großen und Ganzen in die völlig richtige Richtung“. Es sei „richtig, weiter ganz, ganz vorsichtig zu bleiben“. Dies soll nach Laumanns Ansicht auch an Silvester gelten: „Große Versammlungen lässt ja die Corona-Schutzverordnung jetzt nicht zu und wird die nächste auch nicht zulassen.“ Das von den SPD-geführten Ländern geforderte Böllerverbot zu Silvester wird dagegen voraussichtlich nicht kommen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) plädierte im ZDF dafür, „dieses kleine private Feuerwerk“ nicht zu untersagen.
Ekin Deligöz, familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, erinnerte daran, dass vor allem Familienfeste als Grund für den starken Anstieg der Infektionszahlen vermutet werden. Deshalb müsse man auch den gesunden Menschenverstand walten lassen und an die Selbstverantwortung appellieren.
„Weihnachten ist in erster Linie ein Fest der Liebe, und es gibt viele Wege, den Menschen Liebe und Zuneigung zukommen zu lassen“, so Deligöz. „Denn genauso wichtig wie der Wunsch, dieses Jahr die Weihnachtszeit mit den Liebsten zu verbringen, ist auch der Wunsch, dass genau diese Liebsten auch gesund bleiben und wir das nächste Weihnachten noch mit ihnen verbringen können.“
Ähnlich argumentiert der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Marcus Weinberg. „Für unser christlich geprägtes Land hat insbesondere Weihnachten als ein Fest der Familie eine ganz besondere Bedeutung“, sagte der CDU-Politiker. Deshalb müssten jetzt alle durch konsequente Einhaltung der Kontaktbeschränkungen daran arbeiten, dass es zu Weihnachten zu Lockerungen kommen könne.
Vor allem ältere Menschen könnten sich ein Fest ohne ihre Lieben nicht vorstellen. „Wir wissen, dass viele ältere Menschen lieber mit Schutzausrüstung und Maske im Kreise ihrer Familie sitzen, als allein zu Haus oder im Seniorenheim. Diese Menschen müssen wir bei all unseren Maßnahmen hören.“ Das betreffe auch Familien mit mehreren Kindern. „Was auf keinen Fall passieren darf, dass wir diese Menschen verlieren und unsere notwendigen Maßnahmen, die wir zum Schutz der Menschen auf den Weg bringen, auf Unverständnis und Ablehnung stoßen“, sagte Weinberg.
Sein Kollege Sönke Rix von der SPD sagte, die Regelungen, die Bund und Länder am Mittwoch beschließen wollen, müssten sich in jedem Fall an dem neuen Bevölkerungsschutzgesetz messen lassen. Darin sei eine sorgfältige und gerichtsfeste Begründung der Maßnahmen ebenso vorgeschrieben wie eine jeweils höchstens vierwöchige Dauer.
„Für mich ist aber klar, dass Kontaktbeschränkungen für Familien als Mittel gegen die Ausbreitung von Covid-19 erst als letztes Mittel in Betracht kommen können“, sagte Rix. „Niemand hat Spaß daran, Familien und vor allem den Kindern das Weihnachtsfest zu vermiesen.“
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