Schon im Dezember soll es so weit sein. Dann werden die ersten Menschen in Deutschland eine Impfung gegen das Coronavirus erhalten. Das hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Aussicht gestellt. In Anbetracht dessen wirkt der Planungsstand für die größte Impfkampagne aller Zeiten noch rudimentär.
Erstaunlich wenig ist über den Aufbau der geplanten rund 60 Impfzentren im Land zu erfahren und darüber, welche Mediziner dort wie und wann arbeiten sollen. Selbst die viel beschworene Liste jener Bevölkerungsgruppen, die als erste geimpft werden sollen, liegt nur vage ausformuliert vor. Die Ständige Impfkommission will Details „bis Ende des Jahres“ vorlegen. Das fiele dann zusammen mit dem Start der Impfungen, womöglich käme es sogar zu spät.
Noch völlig unklar ist, wie die berechtigten Patienten nachweisen sollen, dass sie die Impfung überhaupt erhalten dürfen. „Die zu Impfenden erbringen gegenüber den Impfzentren den Nachweis, dass sie zu einer prioritär zu impfenden Personengruppe gehören. In welcher Weise dies erfolgen kann, wird derzeit erarbeitet“, heißt es auf Nachfrage beim Bundesgesundheitsministerium.
Werden in den Impfzentren komplette Untersuchungen vorgenommen? Das wäre in vielen Fällen aufwendig, teuer und für manche Patienten sicher verstörend. Ein solches Verfahren würde die Hemmungen, sich impfen zu lassen, eher verstärken als abschwächen. Dabei gäbe es einen Arzt, der seine Patienten bestens kennt: den Hausarzt. Er ist es, der eigentlich Impfungen vornimmt. Er kennt die Krankheitsgeschichte seiner Patienten.
Impfzentren sollen Vorrang vor Hausärzten haben
Trotzdem, geht es nach der Ständigen Impfkommission, die vor zwei Wochen Empfehlungen zu der bevorstehenden Impfkampagne vorlegte, bleiben die Hausärzte zunächst außen vor. In der Nationalen Impfstrategie des Gesundheitsministeriums mit Stand vom 6. November werden die Hausärzte und niedergelassenen Ärzte ebenfalls nicht erwähnt. Minister Spahn hat immerhin angedeutet, dass diese Ärzte Impfberechtigungen ausstellen könnten.
Die Begründung der Impfkommission liest sich so: „Aus grundlegenden ethischen und rechtlichen, aber auch aus pragmatischen Gründen ist eine möglichst einheitliche, transparente und damit vertrauenserweckende sowie akzeptanzsichernde Verteilung geboten. Das spricht für eine Impfstrategie, die nicht auf einzelne Hausärzt*innen, sondern auf staatlich mandatierte Impfzentren setzt.“
Das zentrale Argument, das eigentlich für die Einbeziehung der Hausärzte sprechen würde – das besondere Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten – scheinen die Experten also gegen sie zu wenden. Fürchtet man, dass die Hausärzte an der Prioritätenliste vorbei Gefälligkeitsimpfungen ermöglichen könnten?
In der Pressekonferenz sagte der Kommissionsvorsitzende Thomas Mertens zudem: „Man kann die Priorisierung nicht den Hausärzten auferlegen.“ Ermessensentscheidungen wären damit ebenfalls nicht möglich.
Ist Logistik ein schlagendes Argument?
An einem Modell, wie in den Praxen schon von Beginn an geimpft werden könnte, wird also nicht gearbeitet. Ob die Hausärzte zumindest Atteste ausstellen können oder sollen, ist ebenfalls noch unklar. Als Grund, warum in den Praxen nicht geimpft werden soll, gelten die Schwierigkeiten, die die Logistik der Impfungen mit sich bringt.
Demnach hieß es zunächst, dass der Impfstoff der Firmen Biontech/Pfizer bei rund minus 70 Grad transportiert und gelagert werden muss. Das könne eine Arztpraxis nicht gewährleisten. Laut neuesten Berichten aber soll der Impfstoff auch bei Kühlschranktemperaturen zumindest fünf Tage haltbar sein.
Auch der Impfstoff der Firma Moderna soll im Kühlschrank gelagert werden können, zumindest 30 Tage lang. Das Unternehmen AstraZeneca verspricht sogar eine Haltbarkeit von einem halben Jahr unter diesen Bedingungen. Gerade im ersten Jahr dürfte der Durchsatz zudem hoch sein.
Was ebenfalls gegen die Logistik als ausschließendes Kriterium spricht, ist, dass es neben den Impfzentren ja auch mobile Impfteams geben soll. Verfahren zur mobilen Tiefstkühlung sind etwa in der Veterinärmedizin zur Aufbewahrung von Bullensperma seit Jahrzehnten etabliert. Hier wird sogar noch mit weit niedrigeren Temperaturen operiert, nämlich minus 196 Grad.
Das Equipment passt in einen Kofferraum. Warum sollte das nicht auch in Arztpraxen funktionieren?
„Diese Menschen müssen zum Hausarzt“
Gesundheitspolitiker sprechen sich dafür aus, die Hausärzte nicht zu übergehen, sondern bei der Planung der Impfkampagne früh mit zu berücksichtigen. „Ich habe keinerlei Grund, einem Hausarzt zu misstrauen. Wenn die Zahl der Impfdosen so klein ist, dass nur die priorisierten Gruppen geimpft werden können, dann muss man ein ärztliches Attest nachweisen. Diese Menschen müssen zum Hausarzt, das ist eindeutig“, sagte Georg Nüßlein, Gesundheitspolitiker der CSU, WELT. Er erwarte, dass der Minister ein solches Verfahren vorlege.
Ähnlich sieht es Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion: „Die Hausärzte bleiben auch in der ersten Phase der Impfstrategie die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für ihre Patientinnen und Patienten und tragen damit zur erfolgreichen Umsetzung der Impfstrategie bei.“ Hausärzte könnten Überweisungen ausstellen.
„Klar ist aber, dass die Impfberechtigung selbstverständlich im Impfzentrum geprüft werden wird“, so Dittmar. „Das schließt auch die Prüfung von ärztlichen Überweisungsscheinen oder Impfberechtigungsbescheinigungen bei Vorerkrankungen ein, die von dem verantwortlichen Hausarzt ausgestellt werden.“
Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und selbst Infektiologe, geht noch einen Schritt weiter. Er fordert, dass die Hausärzte auch Impfungen in den Praxen durchführen sollen. „Sie werden als Partner gleich am Anfang der Impfkampagne dringend gebraucht, um die notwendigen hohen Impfzahlen in kurzer Zeit umzusetzen. Niedergelassene Ärzte darauf zu degradieren, nur Atteste auszustellen, ist daher weder sinnvoll noch zielführend.“
Laut einer internen Umfrage des Berufsverbands Deutscher Internisten sprachen sich 79 Prozent dafür aus, die Impfungen in den Praxen durchzuführen. Die Ärzte würden also wollen. „Gerade die niedergelassenen Haus- und Fachärzte kennen die Risikopatienten vor Ort, deshalb müssen auch sie in die regionale Impflogistik eingebunden werden“, so Ullmann.
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, appelliert an die Politik, bei der Priorisierung der Impfberechtigten keine Fragen offen zu lassen. „Die Priorisierung muss transparent, klar und bundeseinheitlich von der Politik vorgegeben werden. Sie darf nicht in die Hausarztpraxen verlagert werden und zwar aus dem einfachen Grund, dass wir die – bereits sowieso schon knappe – Zeit in den Praxen für die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten brauchen.“
Für die Anfangszeit sieht Weigeldt die Impfungen ausschließlich in den Impfzentren. Doch darüber gibt es keinen Konsens in der Ärzteschaft.
Der Vorsitzende des Hausärzteverbands Nordrhein, Oliver Funken, sagte der „Rheinischen Post“, dass die Impfzentren allein die Impfung nicht werden bewältigen können. „Man kommt um die niedergelassenen Ärzte bei der Verteilung nicht herum.“ Auch wenn die Anforderungen an den Impfstoff hoch seien, meint er: „Das bekommen wir hin. Wir haben innerhalb von zwei Monaten 20 Millionen Dosen Grippeimpfstoff verabreicht.“
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