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Mehr Masken, weniger Party - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wer in diesen Tagen in einem deutschen Corona-Risikogebiet von einem Herbsturlaub an der Ostsee geträumt und sich für die Einreise nach Mecklenburg-Vorpommern sogar einen negativen Test besorgt hat, ist dennoch dazu verdammt, die ersten fünf Urlaubstage isoliert im Ferienquartier zu verbringen, um dann einen zweiten negativen Test vor Ort zu organisieren. Mecklenburg-Vorpommern hat die mit Abstand strengste Verordnung für innerdeutsche Reisende, die so abschreckend wirkt, dass sie einem Reiseverbot gleichkommt. Das findet jedenfalls der Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes des Landes, Lars Schwarz, der die Landesregierung daran erinnerte, dass auch über fünf Millionen Sommerurlauber keine Infektionen in den Nordosten eingeschleppt haben.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) nennt die gleichen Zahlen wie Schwarz, um die Güte des Tourismuskonzepts in ihrem Land hervorzuheben, wehrt sich aber entschieden gegen eine Aufhebung der landeseigenen Regeln oder des Beherbungsverbots für Reisende aus Risikogebieten mit 50 Infizierten pro 100.000 Einwohner und mehr. „Es geht nicht darum, die Menschen auszuschließen“, sagte sie am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk, es sei aber wichtig, an Menschen aus Risikogebieten höhere Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich zeigte sie sich indes für bundeseinheitliche Regelungen offen. Dabei muss es in ihren Augen aber vor allem um Vorgaben für Risikogebiete gehen, die bisher nicht verwirklicht worden seien, also auch um Reisebeschränkungen. Weil das bislang fehle, halte Mecklenburg-Vorpommern an seinen strengen Einreisebeschränkungen fest. „Wir müssen zusammen Maßnahmen ergreifen, die dafür sorgen, dass wir in Deutschland weniger Risikogebiete bekommen“, sagte sie in Schwerin.

Söders neuer Dreiklang

Doch die Front der Verteidiger des Beherbergungsverbots schien am Dienstag zu bröckeln. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigte sich offen, über die bisherige Regelung zu diskutieren und sie möglicherweise zurückzunehmen. Vor dem Treffen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin am Mittwoch sagte Söder, das Beherbergungsverbot für Reisende, die aus einem Corona-Hotspot kommen, „ist nicht das Entscheidende“, sondern sei „ein untergeordneter Punkt“. Er sei in der Sache „in keinster Weise auf Dauer festgelegt“.

Vor ein paar Tagen hatte Söder noch anders geklungen. Vom Donnerstag stammt die Aussage, das Verbot helfe, „um unserem Tourismus, Gaststätten und unseren Hotels ein Maß an Stabilität zu geben“. Es könne „jetzt jeder ohne Probleme in den Urlaub fahren, er soll halt einen Test mitbringen und einen Test entsprechend machen“. Dann klappe das. Zuletzt hatte sich aber immer mehr Kritik Bahn gebrochen. So hatte der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger von den Freien Wählern den Nutzen der Eindämmungsmaßnahme als „sehr überschaubar“ bezeichnet. Viele Gastronomen hatten sich über geschäftliche Einbußen und den neuerlichen bürokratischen Aufwand beschwert.

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Der Präsident der Nationalakademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald Haug, der am Dienstag an der Sitzung des bayerischen Ministerrats teilgenommen hatte, äußerte sich skeptisch zum Beherbergungsverbot; man solle es „überdenken“. Die Nebenwirkungen der Maßnahme seien „sehr stark“, über die Herbstferien hinaus solle man sie nicht strecken. Söder sagte, das sei ohnehin nicht geplant gewesen. Er wies auch darauf hin, dass die Probleme mit dem Beherbergungsverbot vor allem solche Bundesländer hätten, in denen man schwerer als in Bayern an einen Test komme, mit dem man sich für eine Reise „frei testen“ lassen kann. Viel wichtiger als das Beherbergungsverbot sei es in jedem Fall, bei der Eindämmung der Pandemie ein „einheitliches und verständliches Corona-Regelwerk“ für ganz Deutschland zu erstellen.

Es sei „fünf vor zwölf“, die Infektionszahl, die Söder „die Mutter aller Zahlen“ nannte, sei „viel zu früh viel zu hoch“. Deshalb brauche es „einen Ruck“, der weg vom „Klein-Klein“ führe. Söder wollte der Besprechung mit der Kanzlerin nicht vorgreifen und also keine konkreten Maßnahmen fordern. Er machte aber deutlich, dass der Einzelhandel oder der öffentliche Personennahverkehr nicht betroffen sein dürften. Eher sollten sich die neuen Regelungen auf den Dreiklang „deutlich mehr Masken, deutlich weniger Alkohol, deutlich weniger Party“ bringen lassen. Er verwies in dem Zusammenhang etwa auf Ansteckungen in Aufzügen, die durch das Tragen von Masken hätten verhindert werden können. Die Masken bezeichnete Söder als „ein Instrument der Freiheit“, weil sie es den Menschen ermöglichen, mehr Normalität zu leben als ohne. Söder sagte, an bestimmten Punkten sei man durch den Anstieg der Infektionen inzwischen „jenseits der Hotspot-Strategie“. Regelungen, die bei 50 Infektionsfällen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen greifen, könnten schon vorher angewandt werden. Von Ausreiseverboten hält er nichts.

Einigung über Beherbergungsverbot unwahrscheinlich

Am Beherbergungsverbot festhalten wollen neben Schwesig auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), obwohl seine Landeskinder täglich nach Berlin und zurück pendeln, und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der sonst gern eigene Wege beschreitet, gab sich ebenso hartleibig. Niedersachsen hat das Beherbergungsverbot erst vor wenigen Tagen in Kraft gesetzt, Rheinland-Pfalz, wo das eigentlich am Dienstag hätte geschehen sollen, setzte die Regelung jedoch vorerst aus. Die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin wollen derweil für eine Änderung oder Abschaffung des Verbotes kämpfen und wissen Nordrhein-Westfalen und Thüringen auf ihrer Seite.

Am Tag vor dem Treffen bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schien es sehr unwahrscheinlich, dass bei dem Thema eine einheitliche Linie gefunden wird. Zudem herrscht große Verwirrung über die unterschiedlichen Regelungen in den Ländern, die auch den Zeitpunkt des negativen Tests und die 48-Stunden-Frist betreffen. Der Unions-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) hat am Dienstag ein „klares Signal gegen die Kleinstaaterei“ gefordert. „Wir benötigen Klarheit für die Menschen in Deutschland – dies gilt insbesondere für innerdeutsche Reisen“.

Die Bundesregierung misst dem Treffen am Mittwoch große Bedeutung bei. Deutschland sei in der Pandemie relativ gut durch den Sommer gekommen, hieß es in Regierungskreisen. Wie man nun auf die hochschnellenden Infektionszahlen reagiere, entscheide darüber, wie man in den Winter und die Weihnachtszeit gehe. Vor allem geht es dem Bund darum, eine möglichst einvernehmliche Haltung im Umgang mit dem Virus zu erreichen. Hatte die Bundeskanzlerin bislang ihre Besprechungen mit den Ministerpräsidenten per Videokonferenz abgehalten, so bat sie sie nun erstmals wieder persönlich ins Kanzleramt. Wie es hieß, könne so ein intensiverer Austausch stattfinden.

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) sagte am Dienstag, man habe es nun in der Hand, das Infektionsgeschehen in Deutschland positiv zu beeinflussen. Dies setze aber „große Entschlossenheit und den Willen der Gesellschaft als Ganzes“ voraus. Vor diesem Hintergrund habe die morgige Debatte eine „historische Dimension“. Braun zeigte sich überzeugt, dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen Deutschland für viele Jahre beschweren und man gegenüber Ländern wie etwa China, denen die Infektionskontrolle gelinge, längerfristig ins Hintertreffen geraten würde, wenn die Infektionsdynamik jetzt nicht unterbrochen würde.

In mehreren Landeshauptstädten sorgte das für Stirnrunzeln und Unklarheit. Erwartet wird jedenfalls nicht, dass mit einer oder einigen wenigen großen, überraschenden Entscheidungen eine neue Richtung im Kampf gegen das Virus eingeschlagen wird. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zeigte sich sogar verärgert über die Anberaumung des Treffens im Kanzleramt. Man dürfe jetzt nicht in „Aktionismus“ verfallen. „Diese hektische Einladung hat schon im Vorfeld ziemlich viele seltsame Vorschläge von Politikern außerhalb der Konferenz provoziert.“

Man habe „klare und abgestimmte Regelungen“ in Deutschland, mit denen man gut gefahren sei. „Diesen Erfolg jetzt als Kleinstaaterei abzutun und von Flickenteppichen zu schwadronieren, halte ich für ziemlich dümmliches Gerede.“ Aus dem Hamburger Rathaus hieß es etwas zurückhaltender, wirklich neue oder gar historische Beschlüsse erwarte man am Mittwoch kaum. Es gehe dem Kanzleramt wohl vor allem darum, eine Botschaft zu senden: Achtung, es ist ernst.

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